Kickertische im Büro, Work-Life-Balance, Gap-Year – auch, wenn sich viele starre Berufsfelder inzwischen etwas auflockern, besitzt Arbeit in Deutschland nach wie vor einen hohen Stellenwert. Das ist in Ländern wie Syrien nicht anders. Die Wege in den Jobmarkt sind es hingegen schon. Orientierungshilfe dafür gibt „Pro-FIT“, ein Service-Projekt für die erfolgreiche Integration von Geflüchteten in Praktikum, Einstiegsqualifizierung und duale Ausbildung in der Region Hannover.
Die Idee: Geflüchtete, die bereits einen Ausbildungsplatz oder eine Arbeitsstelle gefunden haben, fungieren als Mentoren für „Neue“, welche die Herausforderungen der Integration noch meistern wollen. In Kooperation mit Sozialarbeitern der Gemeinschaftsunterkünfte, die vom Sozialdienstleister European Homecare (EHC) in der Landeshauptstadt und der Region Hannover geführt werden, übernimmt das Team der Brückenbauer kulturelle, sprachliche und emotionale Mittler- und Dialogfunktionen für Geflüchtete. Sozialpädagogin Alina Wagner berichtet: „Die Sensibilisierung für das Thema Arbeit und Ausbildung durch Brückenbauer, die auch die Muttersprache der Bewohner_Innen sprechen, ist eine tolle Ergänzung zu unserer Arbeit.“
Die Unterstützung fokussiert sich auf Jobsuche und Bewerbungsverfahren. Gemeinsam mit Dietmar Rose und Bernd Schlierf, den Initiatoren des Projekts, vermitteln die Brückenbauer Kontakte zu Experten der Handwerkskammer, der Industrie- und Handelskammer, der Landwirtschaftskammer und dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband. Dank zahlreicher Förderungen, u.a. von der Stiftung Soziale Dienste, kann das 2017 gestartete Projekt auch 2019 fortgeführt werden.
Hilfe gibt es außerdem bei der Anerkennung von Abschlüssen und anderen bürokratischen Hürden, die für viele nicht unerheblich sind. „Deutschland ist das Land des Papiers!“ – diese Feststellung von Rama aus Damaskus sorgt für Gelächter im Kreise der Brückenbauer, die sich regelmäßig in einer der EHC-Gemeinschaftsunterkünfte zum Austausch treffen. Die 20-Jährige selbst ist seit November 2018 im mittlerweile 25-köpfigen Team der Brückenbauer. Gerade macht sie eine Ausbildung zur Pflege- und Betreuungsassistentin. Das ist für sie aber nur der erste Schritt: Danach plant sie eine Weiterbildung zur OP-Schwester, anschließend möchte sie Medizin studieren und als Chirurgin in einem Krankenhaus arbeiten. Ihre Mutter Mirvat (42) ist Modedesignerin und würde am liebsten wieder Stoffe und Schnitte entwerfen, könnte sich aber auch vorstellen, in einer Boutique tätig zu sein.
Der 26-jährige Mahmoud stammt ebenfalls aus Syrien. Er macht eine Ausbildung als Zahntechniker – was ihm leicht fällt, denn in seinem Heimatland hat er schon in diesem Beruf gearbeitet und kann auf solide Mathe- und Physikkenntnisse zurückgreifen, womit viele seiner Kameraden ohne Migrationshintergrund Probleme haben. „Bildung ist in Syrien essenziell, in allen Schichten“, erklärt er. Mirvat ergänzt: „Als schon Bomben auf Damaskus fielen, lief der Schulunterricht zunächst weitgehend normal weiter.“ Grund für den hohen Stellenwert der Schulbildung sind die strengen Voraussetzungen für die Hochschulzulassung. Nur 15-20% eines Jahrgangs gehen zur Universität – wer das ist, entscheidet u.a. der Notendurchschnitt. Auch technische Schulen, an denen 20 verschiedene Berufe erlernt werden können, sind beliebt.
Beim Sprung ins Berufsleben hinein läuft viel über Kontakte. Schriftliche Bewerbungen mit Lebenslauf sind unüblich. Noch traditioneller läuft die Jobsuche in Afghanistan ab, erzählt Shekib: „Es gibt keine Arbeitsagentur oder strukturierte Ausbildungen, wie man sie hier kennt. Oft erlernen Söhne den gleichen Beruf wie der Vater oder Verwandte vermitteln einen ‚Lehrbetrieb‘.“ In Hannover hat der 20-Jährige eine Ausbildung als Fachkraft im Gastgewerbe in einem Hotel begonnen. Anschließend will er sich als Hotelfachmann weiterqualifizieren und träumt davon, selbst ein Hotel oder Restaurant zu leiten.
Die hohe Motivation auf der einen Seite und das Mentorenprogramm der Brückenbauer auf der anderen helfen dabei, dringend benötigte Fachkräfte für den regionalen Arbeitsmarkt zu qualifizieren – und auch dort zu halten. Denn so unterschiedlich die Geschichten und Pläne der Brückenbauer auch sind, eines haben sie alle gemeinsam: Am liebsten würden sie in Hannover bleiben.